von Tine in Trainingsgedanken am 9. Juli 2016
Heute möchte ich über ein sehr persönliches Thema schreiben. Bisher habe ich es bewusst vermieden, um der ganzen Sache nicht zu viel Raum in meinem Leben zu geben, und weil ich auch nie so recht wusste, was überhaupt, wie, und in welcher Form. Doch seit Wochen habe ich diesen Artikel im Kopf.

Ich habe eine seltene Blutbildungskrankheit, bei der das Knochenmark nicht genug Blutzellen produziert. Diese Krankheit nennt sich Aplastische Anämie. Diagnostiziert wurde sie Ende 2013, als ich mit, für mich bis dahin eigentlich harmlosen Symptomen, ins Krankenhaus eingewiesen wurde. Zu den Symptomen gehörten hauptsächlich Nasenbluten, Herzrasen und starke Kopfschmerzen. Von einem Tag auf den anderen musste ich mein normales Lebensumfeld, meinen Partner, Freunde, Familie, und natürlich auch meine Tiere verlassen. Die folgenden drei Monate im Krankenhaus haben mich viel gelehrt, über Schmerzen, mich selbst, was wichtig ist im Leben. Und was es heißt, Verantwortung abzugeben und zu vertrauen.



Vor der Zeit im Krankenhaus gab es wenige Entscheidungen, die ich anderen überlassen habe, gerade im Bezug auf die Tiere. Plötzlich konnte ich das nicht mehr, beziehungsweise hatte oft auch überhaupt keine Kraft dafür. Es rückte in den Hintergrund, welche Zusammensetzung das Futter unserer Katze genau hatte - Hauptsache war, dass sie es frisst, und mein Partner es ohne großen Aufwand kaufen konnte. Es rückte in den Hintergrund, dass mein Pferd von niemandem außer mir vom Paddock geholt werden sollte, denn wichtige Termine wie die Hufbearbeitung standen ja dennoch an. Die Entscheidung, ob sie bei dem Wetter eine Decke braucht oder nicht, konnte ich ebenfalls nicht treffen, schließlich war ich nicht vor Ort. Und so weiter...

Vor der Zeit im Krankenhaus war ich immer im Stress. Stress auf der Arbeit, immer bis spät abends unterwegs, viele Termine im Stall getrieben von dem "was sein muss". In der langen Zeit, in der es vollkommen unklar war, wann ich meine Tiere wiedersehen kann, habe ich begriffen, dass das alles vollkommen unwichtig ist. Es ist schön etwas gemeinsam zu erreichen. Es ist wichtig an Dingen wie dem Medical Training zu arbeiten. Aber das Einzige was wirklich zählt, ist auf dem Heimweg sagen zu können: wenn das heute unser letzer gemeinsamer Tag war - es war ein schöner Tag.



Als ich dann endlich wieder Zuhause war, konnte ich natürlich auch nicht mehr einfach so weiter machen, wie vorher. Da ich eine ganze Weile nur den rechten Arm sicher benutzen konnte, war ich darauf angewiesen, dass meine Stute sich auch einhändig führen lässt, dass sie sich zum Beispiel nach dem Tor auch umdreht, wenn ich sie nicht festhalten kann, da ich die Hand brauche, um das Tor einzuhängen. Ich habe gelernt was es bedeutet, wirklich nur so weit vom Stall weg zu gehen, wie sie sich 100% wohl fühlt - denn ich konnte sie weder halten noch ihr hinterher laufen, wenn sie sich losriss (und das hat sie).

Und ich habe gelernt, dass es ebenso wichtig ist, auf mich selbst zu achten. Über den Sommer haben wir einen Großteil der Zeit damit verbracht, dass die Krümeline direkt vor dem Paddock in einem gesicherten Abteil grasen konnte, während ich sie geputzt habe, und dass wir auf dem Paddock in einer abgetrennten Ecke kurze, maximal 10-minütige Einheiten mit ganz einfachen Aufgabenstellungen gemacht haben. In all der Zeit konnte ich die volle Macht des Clickertrainings am eigenen Körper erleben, denn kaum eine der Herausforderungen dieser Zeit hätte ich geschafft, wenn ich mich auf eine Diskussion/einen Streit mit meiner Stute hätte einlassen müssen. Ich war darauf angewiesen, dass sie sich eigenverantwortlich dafür entscheidet, auf mich Rücksicht zu nehmen, und genau das hat sie getan.




Im Verlauf der nächsten 1,5 Jahre haben wir uns dann langsam wieder an den Stand von "vorher" herangearbeitet. Ich habe zum ersten Mal seit Dezember 2013 wieder auf meinem Pferd gesessen (wenn auch nur für ein paar Clicks) und begonnen, Pläne zu schmieden. Und dann kam vor ein paar Monaten die Diagnose... akuter Rückfall. Aktuell ist alles unsicher. Schlägt die Therapie wieder an? Muss ich wieder ins Krankenhaus? Aber auch vollkommen unabhängig von diesen Fragestellungen verändert sich wieder mein Alltag. Oft kann ich nicht im Voraus sagen, wann ich in den Stall fahren kann, oder ob ich zu einem zugesagten Termin komme. Den Stalldienst bei meinem Mini-Shetty übernimmt meine Freundin, da ich weder die Kraft habe, noch mit Heustaub etc. in Berührung kommen sollte. An vielen Tagen reicht es mit der Kraft gerade so zum Putzen und Nase knutschen. Mein Partner übernimmt einen Großteil des Haushaltes und hält mir trotz allem noch den Rücken frei, damit ich zu den Pferden fahren kann. Er baut ihnen Turngeräte, Unterstände, und all die Dinge, die nötig sind.




Ich bin froh und dankbar um alle Menschen um mich herum, die mir so viel abnehmen, damit ich trotzdem einen einigermaßen normalen Alltag leben kann. Und ich bin froh, all die Möglichkeiten zu haben, die einem der Umgang mit positiver Verstärkung bietet, sodass ich meinen Tieren dennoch Abwechslung im Alltag bieten kann, auch wenn ich oft stark eingeschränkt bin. Und ich versuche nach wie vor die Tage so zu gestalten, dass ich mit einem guten Gefühl ins Bett gehen kann.

An dieser Stelle möchte ich allen von euch, die schon seit vielen Jahren mit ähnlichen oder deutlich schlimmeren Krankheiten leben meinen vollen Respekt ausprechen, ich bewundere eure Kraft und das Durchhaltevermögen. Danke an meine Freunde, die immer für mich da sind, und an meine Tiere, die immer Rücksicht auf mich nehmen.

"Ab und zu ist es gut, in unserem Streben nach Glück innezuhalten und einfach glücklich zu sein."

~ Guillaume Apollinaire ~

Und ich möchte euch bitten, Verständnis für eure Tiere zu haben, gerade für die mit chronischen Krankheiten. Regelmäßig Schmerzen zu haben (oder Juckreiz, Husten, etc.) strengt an. Manchmal macht es schlechte Laune. Manchmal möchte man dann einfach seine Ruhe. Das ist nicht persönlich gemeint, das liegt nicht immer daran dass ihr als Mensch (Partner, Trainer...) etwas falsch gemacht habt. Auch wenn die Tiere uns öfter spiegeln als uns lieb ist, haben sie eben auch ihr eigenes Leben. Aber es heißt auch nicht, dass man prinzipiell keine Lust auf spannende Aktivitäten hat. Mit gemeinsamer Rücksichtname und entsprechendem Management - z.B. mit einem Ekzemer nicht ausgerechnet in der Dämmerung und Hauptinsektenflugzeit arbeiten - kann man trotzdem eine tolle Zeit haben.

Eure Tine

Im nächsten Artikel geht es um Bedürfnisse, Dinge persönlich zu nehmen und warum wir nicht immer für alles verantwortlich sind, was unser Gegenüber tut.

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Über mich

Mensch und Pferdekopf
Ich heiße Christine Dosdall, genannt Tine, geboren 1986 und lebe mit meinen Tieren in Berlin. Wenn ich nicht gerade hinter dicken Büchern verschwunden bin, findet ihr mich im Stall bei meinen Pferden Krümel und Alkmene oder zusammen mit meiner Katze Mucki auf der Couch.

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