von Tine in Trainingsgedanken am 27. Januar 2016
Wer mich schon eine Weile kennt, weiß, dass ich viel Zeit damit verbringe, im Clickerforum (einem Online-Forum für Pferdebesitzer und -trainer, sowie für alle anderen Trainingsinteressierten) gemeinsam mit anderen die Praxisrelevanz von Lerntheorie und deren Anwendung im Alltag aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Dabei geht es um mehr, als das Herunterbeten der diversen Definitionen, die in vielen Lehrbüchern gut und anschaulich dargestellt werden. Es geht oft um den sprichwörtlichen "Knoten im Kopf", um das "Wie mache ich das denn jetzt eigentlich?" und das "Warum äußert sich das jetzt denn SO?".

Im Rahmen dieser aufkommenden Fragen, entwickelt sich auch die ein oder andere sehr interessante Diskussion, für die Seitenlange Beiträge verfasst und diskutiert werden. Irgendwann verschwinden diese dann in den Tiefen des Forums, und kommen doch eher zufällig wieder irgendwann ans Licht, auf der Suche nach einer bestimmten Frage oder beim Herumstöbern.

Damit einige davon die Chance bekommen, auch außerhalb des Forums das "Licht der Welt" zu erblicken, werde ich euch in Zukunft den ein oder anderen von mir verfassten Beitrag auch hier posten.

Viel Spaß beim Lesen!

Pferd berührt Targetstick



Im ersten Teil geht es um die Frage, wie sich eigentlich Kreativität, Eigeninitiative und Signalkontrolle verbinden lassen - um ob es nötig ist, jedes vom Tier angebotene Verhalten unter Signal zu stellen.

Link zum Originalbeitrag, 26.01.2016



1) Die Signalkontrolle


Die Signalkontrolle bedeutet, [v] das Verhalten wird ( [a] in einem gegebenen Kontext) [b] auf dieses Signal hin zuverlässig gezeigt, [c] nur auf dieses Signal hin gezeigt, [d.] nicht ohne dieses Signal gezeigt, [e] und auf das Signal hin wird kein anderes Verhalten gezeigt.

Nehmen wir mal... das Antraben, und zwar bei der Arbeit am Strick, rund um den Pylonenkreis, das Signal ist ein Doppelschnalzer. Dann haben wir:

  • [v] Verhalten: Antraben, innerhalb von 3sec, in Laufrichtung
  • [a] Kontext: Laufen um den Pylonenkreis, Halfter und Strick
  • [b] Signal: Doppelschnalzer, das Pferd trabt an
  • [c] anderes Signal: Pfeifen (Signal für Stehenbleiben), das Pferd trabt nicht an, sondern bleibt stehen
  • [d] kein Signal: solange kein Doppelschnalzer kommt, bleibt das Pferd aufmerksam in [Steh/Schritt/Wendung/Galopp]
  • [e] falsches Signal: bei einem Doppelschnalzer bleibt das Pferd weder stehen, noch galoppiert es an

Es geht eigentlich im Grunde genommen dabei nur um folgendes:

  • [v] Das Pferd kennt & kann das Verhalten
  • [a] Das Pferd kennt den Kontext
  • [b] Das Pferd kennt das Signal
  • [c] Das Pferd kann das Signal von einem anderen Signal unterscheiden
  • [d] Das Pferd kann das Signal von den Umgebungsgeräuschen unterscheiden
  • [e] Das Pferd kann andere Verhalten von diesem Verhalten unterscheiden

Für den Kontext vielleicht noch ein schönes Beispiel: Jeder von uns hat bedeutet, dass eine rote Ampel anhalten/stehenbleiben bedeutet. Manchmal wird dieses Gebot aber aufgehoben, wenn z.B. die Polizei den Verkehr regelt oder die Ampel offensichtlich ausgefallen ist. Das ändert nicht die Bedeutung des Signals, aber es zeigt, dass das Signal nicht im luftleeren Raum existiert, und immer auch die Umgebungsfaktoren berücksichtigt werden müssen.


2) Eigene Vorschläge


Um jetzt beim Beispiel des Antrabens zu bleiben, was mache ich jetzt, wenn das Pferd im Schritt ohne Signal mehrfach antrabt. Ich könnte

  • darauf bestehen, dass wir weiter Schritt gehen (weil es z.B. aufgeregt ist, und sich nur weiter reinsteigern würde)
  • nach dem nächsten Durchparieren das Signal für den Trab geben und weiter am Antraben arbeiten
  • den Pylonenkreis abbauen, das Pferd an die Longe hängen, und es eine Weile im Trab longieren (anderer Kontext, anderes Verhalten)
  • den Strick abmachen, die Pylonen abbauen, und mit dem Pferd gemeinsam im Trab herumflitzen (ohne Doppelschnalzer, weil es trabt eh, und der Kontext ist ein anderer)
  • das Pferd zurück auf den Paddock stellen und dabei bewundern, wie es mit den anderen ein wildes Rennspiel beginnt
  • einen Fußball rausholen, und die Trabmotivation nutzen, dort ein wenig mehr Tempo zu bekommen

Ich kann also, wenn das Pferd das Signal "missachtet" oder "vorwegnimmt" ganz flexibel damit umgehen, je nach Bauchgefühl, eigener Motivation, Vorlieben des Pferdes etc.


3) Kreativität


Und was, wenn das Pferd jetzt ganz eigene Ideen hat? Und z.B. beginnt, Pylonen umzuschubsen, oder nach jeder Runde von sich aus einen Handwechsel einzubauen? Oder Galopp anbietet, ohne dass wir bisher daran gearbeitet haben? Also Dinge, die bisher nicht geübt wurden, die kein Signal haben, oder die evtl. ein Signal haben, und gerade überhaupt nicht gefragt waren? Auch hier können wir wieder vollkommen flexibel reagieren. Wir können:

  • nicht-reaktiv bleiben, sprich, das Verhalten notieren, nicht weiter darauf eingehen und mit dem weiter machen, was wir gerade tun (Langzeitbeobachtung: in welchen Situation tritt es auf, wird es seltener oder häufiger?)
  • das Verhalten aufgreifen und (vor allem wenn es ein Signal hat), daran weiter arbeiten
  • das Verhalten als Verstärker einsetzen (Premack), z.B. für jedes gelungene Antraben eine Pylone umschubsen
  • das Verhalten auch ohne Signal verstärken wenn es auftritt, und sonst weiter nicht drauf eingehen - und für die nächste Einheit die Arbeit an diesem Thema planen
  • den Kontext verändern (z.B. den Strick abmachen), beobachten was das Pferd anbietet, und dieses aufgreifen
  • die Einheit in eine 101 Dinge mit... Einheit umwandeln


Pferd spielt mit HulaHoop-Reifen



4) 101 Dinge mit...


Eine Übung aus dem Delphintraining, Karen Pryor. Dabei geht es darum, wie viele Verhalten sich ein Tier einfallen lassen kann, ohne sich zu wiederholen. Für jedes Verhalten gibt es einen Click, und den nächsten Click erst wieder, wenn ein bisher (in dieser Einheit) noch nicht gezeigtes Verhalten auftaucht. Also z.B.:

  • Pylone mit der Nase umstoßen
  • liegende Pylone mit der Nase an stupsen
  • liegende Pylone mit der Nase schieben
  • liegende Pylone anlecken
  • liegende Pylone mit den Zähnen untersuchen
  • in die Spitze der Pylone beißen
  • in den Fuß der Pylone beißen
  • die Pylone mit dem linken Vorderhuf berühren
  • die Pylone mit dem rechten Vorderhuf berühren
  • usw.

Das ist dann eine (im Rahmen) vollkommen freie und kreative Einheit, wo sich das Tier so richtig austoben kann. Aber Achtung, das erfordert wirklich Höchstleistungen von Pferd und Mensch, sich nämlich wirklich alles zu merken und auch drauf zu achten, was alles passiert. Für ein Tier, dass das Konzept nicht langsam gelernt hat, kann das eine ziemlich stressige Geschichte sein, wenn es nicht verstehen kann, wofür es gerade Clicks gibt.


5) Mach was du willst, es gibt für alles Kekse (oder auch nicht)


Auch diesen Ansatz kann man leben, und auf jede einzelne Idee des Pferdes einfach eingehen. Auch wenn es erstmal widersprüchlich klingt, wäre das für mich die absolute Königsklasse, was Konzentration, kristallklare Signale und das Wissen um Stresszeichen angeht. Denn wenn man keine "Signalkontrolle" haben möchte, und sich jedes Verhalten des Pferdes (manchmal) lohnt, wird einem das Pferd (ja nach Charakter früher oder später) irgendein Verhalten um die Ohren werfen, mit dem man gerade nicht so klar kommt. Rempelhüfttarget oder Steigen bei einer TA-Untersuchung? Den herzhaften Biss in alle herumliegenden Gegenstände? Auf der Koppel verfolgen und von den anderen Pferden abdrängen? Wenn man nicht den Ansatz verfolgen möchte "naja, dann 'unterbinde' ich das halt - durch Anschreien, einen Ruck am Strick, einen Klaps, und all diese lustigen Geschichten" dann sollte man ein sehr genaues Auge dafür haben, welche Übungen in diese Richtung abdriften könnten, und diese entweder nie wieder verstärken, oder eben doch ein [bewusstes] Signal einführen.

Im Gegensatz zu Verhalten, die sich im Lauf von (einigermaßen) strukturierten Trainingseinheiten entwickelt haben, können wir bei diesem Ansatz nie so ganz sicher sein, welche Emotionen ursprünglich mal im Spiel waren, und was wir vielleicht so alles mitbestärkt haben. War das Steigen z.B. immer eine Drohung an ein nahestehendes Pferd / uns, und wir haben somit diesen Ansatz der Konfliktlösung in Menschennähe aktiv verstärkt?


6) Zusammengefasst


Signale (und Signalkontrolle) sind hauptsächlich für eins gut - klare und verständliche Kommunikation, bei der sowohl Sender und Empfänger grob wissen, worum es geht. Das nimmt viel Unsicherheit und Stress aus dem Training, und verhindert damit wiederum Übersprunghandlungen, Frusthandlungen etc.

Mit fortgeschrittener Kommunikation, wenn man sich gut lesen und interpretieren kann, wenn man weiß, wie man im Notfall auch wieder zur Entspannung zurück kommen kann... dann kann man so wild und chaotisch und ungeplant in den Tag hinein leben, wie man das möchte.

Wenn ein Signal in einem Kontext sicher sitzt, bedeutet es noch lange nicht, dass es das in allen anderen Situation auch zwingend muss. Wenn ich über die Koppel laufe brauchen nicht alle Pferde auf einen Doppelschnalzer hin Antraben, sondern sie können machen was sie wollen. Wenn ich mit der Schubkarre laufe möchte ich aber, dass jedes einzelne davon mich durchlässt. Ein Signal wird also generalisiert, ein anderes nicht. Auf einen Click hin bekommt manchmal nur mein Pferd einen Keks, und manchmal auch die Umstehenden, je nach Kontext.
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Über mich

Mensch und Pferdekopf
Ich heiße Christine Dosdall, genannt Tine, geboren 1986 und lebe mit meinen Tieren in Berlin. Wenn ich nicht gerade hinter dicken Büchern verschwunden bin, findet ihr mich im Stall bei meinen Pferden Krümel und Alkmene oder zusammen mit meiner Katze Mucki auf der Couch.

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