von Tine in Trainingsgedanken am 23. April 2018
Bei einem Spaziergang durch den Naturpark habe ich vor kurzem auf dem Kinderspielplatz eine wirklich schön gestaltete Variante einer Kletterspinne entdeckt. Auf einem kleinen Hügel platziert und liebevoll aus Holz gestaltet, hat sie mir sehr gut gefallen, weswegen ich sie fotografiert habe. Dieses Foto hat allerdings in meinem Freundeskreis sehr durchwachsene Reaktionen hervorgerufen.

Foto von Kletterspinne

Während einige meiner Freunde das Foto oder die Kletterspinne bewundert haben, hat es bei anderen Unbehagen ausgelöst und für den sprichwötlichen kalten Schauer über den Rücken gesorgt.

Doch wie kommt das? Sollten wir, als erwachsene Menschen, nicht ganz klar das Foto eines Kinderspielgerätes in Spinnenform von einer echten, gefährlichen Spinne unterscheiden können?

Klassische Konditionierung

Um das zu verstehen, müssen wir uns zunächst ein paar Begriffe genauer ansehen.

Die klassische Konditionierung besagt, dass ein vorher neutraler Reiz (NS = Neutral Stimulus) durch wiederholte Paarung mit einem unkonditionieren Reiz (US = Unconditioned Stimulus), die selbe Reaktion (UR = Unconditioned Response) auslösen kann. Dabei wird der ehemals neutrale Reiz (NS) zum konditionierten Reiz (CS = Conditioned Stimulus) und die Reaktion zur konditionierten Reaktion (CR = Conditioned Response).

Bitte was?

Ich gebe zu, die ganzen Begriffe sind nicht gerade intuitiv und einfach zu verstehen, deswegen versuche ich sie euch an einem Beispiel zu erklären. Versprochen, ich komme auch nicht schon wieder mit Pavlov und den Hunden.

Stellen wir uns jemanden vor, der beim Anblick einer Spinne zusammenzuckt. Kennt vermutlich jeder aus der Familie, dem Bekanntenkreis, oder sogar von sich selbst. Um es jetzt nicht zu wissenschaftlich und zu kompliziert zu machen - man kann das noch deutlich weiter aufdröseln - sehen wir das Zusammenzucken in diesem Fall als unkonditionierte Reaktion (UR) an. Der unkonditionierte Reiz (US) ist in diesem Fall der Anblick der Spinne.

Unkonditionierter Reiz (US) = Anblick einer Spinne
Unkonditionierte Reaktion (UR) = Zusammenzucken

Was passiert nun, wenn jemand nun kurz vorher ruft, "Spinne!" - ok, das ist vielleicht schon konditioniert, also nehmen wir ein anderes Wort - "Aranea!" Ohne Wörterbuch hat das jetzt nicht direkt eine Bedeutung, kann also als neutraler Reiz (NS) gezählt werden. Unsere fiktive Person hört das Wort "Aranea!" (NS), sieht die Spinne (US) und zuckt zusammen (UR).

Neutraler Reiz (NS) = "Aranea!"
Unkonditionierter Reiz (US) = Anblick einer Spinne
Unkonditionierte Reaktion (UR) = Zusammenzucken

In diesem Zusammenhang dauert es vermutlich nur 1-2 Wiederholungen, bis die Person bereits beim Ausruf "Aranea!" in Erwartung einer Spinne zusammenzuckt, ganz egal ob wirklich eine zu sehen ist. Der vorherige neutrale Reiz (NS) ist durch die Kombination mit dem unkonditionierten Reiz (US) zum konditionierten Reiz (CS) geworden. Die Reaktion, auch wenn sie sich nicht verändert hat, wird nun konditionierte Reaktion (CR) genannt.

Konditionierter Reiz (CS) = "Aranea!"
Konditionierte Reaktion (CR) = Zusammenzucken


Foto von Kletterspinne

Emotionale Reaktion

Nun ist das Zusammenzucken beim Anblick einer Spinne keine vollkommen neutrale Reaktion, sondern hat auch eine emotionale Komponente. Bei einem Großteil der Menschen wird es eher eine negative Emotion wie Furcht auslösen, bei anderen allerdings vielleicht auch Freude beim Anblick einer besonders schönen oder seltenen Spinne. Die unkonditionierte Reaktion aus dem vorherigen Abschnitt besteht also eigentlich aus zwei Teilen, dem Verhalten "Zusammenzucken" und der Emotion "Furcht".

Unkonditionierte Reaktion (UR) = Verhalten + Emotion


Foto von Kletterspinne

Konditionierte Emotionale Reaktion

Was passiert, wenn direkt vor dem Anblick der Spinne der Ausruf "Aranea!" kommt? Dieser wird, wie ihr euch inzwischen bestimmt schon denken könnt, nicht nur mit dem Verhalten "Zusammenzucken" sondern auch mit der Emotion "Furcht" verknüpft.

Konditionierter Reiz (CS) = "Aranea!"
Konditionierte Reaktion (CR) = Zusammenzucken + Furchtgefühl

Viele von uns lernen mit der Zeit, beim Anblick einer Spinne oder auch dem Wort "Aranea!" nicht direkt zusammenzuzucken. Genausowenig wie beim Anblick vom Foto einer Kletterspinne... Doch das dumpfe Gefühl der Furcht lässt sich nicht so leicht unterdrücken oder überspielen. Gerade bei potentiell gefährlichen Dingen macht das evolutionär gesehen auch Sinn, deswegen ist es auch leichter eine Spinnen- oder Schlangenphobie zu entwickeln, als zum Beispiel Angst vor Blumen oder Bauklötzen.

Am Ende sieht es dann vielleicht einfach so aus:

Konditionierter Reiz (CS) = Foto einer Kletterspinne
Konditionierte Emotionale Reaktion (CER) = Furchtgefühl

Foto von Kletterspinne

Konditionierte Emotionale Reaktion im Pferdealltag

Konditionierte emotionale Reaktionen findet man natürlich nicht nur im Bezug auf Menschen und Spinnen, auch das tägliche Erleben unserer Pferde ist davon geprägt. Der Anblick der gefüllten Futterschüssel löst Freude aus, der Anblick eines ungeliebten Paddocknachbarn vielleicht Agression und das Rascheln im Gebüsch Furcht.

Viele Pferde lernen, zumindest in direkter Gegenwart des Menschen, nicht sofort auf dem Absatz kehrt zu machen oder auf den Paddocknachbarn loszugehen - die zugrundeliegenden Emotionen sind oft aber dennoch weiterhin präsent. Um diese vorhandenen konditionierten oder unkonditionierten emotionalen Reaktionen langfristig zu verändern gibt es die Gegenkonditionierung, ein Thema für einen eigenen Blogeintrag.

Pferd auf Waage
Gestern kam die Pferdewaage zu uns in den Stall. Die Krümeline hat viel Erfahrung mit Matten unterschiedlicher Art und betritt diese im Normalfall zuversichtlich und entspannt. Gestern haben wir allerdings mehrere Anläufe gebraucht, bis sie auf der Waage stehenbleiben konnte.

Woran liegt das?

Während sie das erste Mal auf der Waage stand, näherte sich im Hintergrund der Partner einer Miteinstellerin. Fremde Personen (CS) lösen bei ihr bis heute Furcht (CER) aus und diese Emotion ist so stark, dass sie die positive Verknüpfung mit der Matte (CS) und der damit verknüpften Freude (CER) überlagert hat.

Fazit: Wenn eure Pferde also gut bekanntes Verhalten nicht zeigen können, lohnt es sich immer zu hinterfragen, welche konkurierenden emotionalen Reaktionen im Spiel sein könnten und wodurch sie ausgelöst werden.

Um diese konditionierten emotionalen Reaktionen (CER) langfristig zu verändern, kann der konditionierte Reiz (CS) durch den Prozess der Gegenkonditionierung mit einer anderen Emotion verknüpft werden.

Zum Seitenanfang

Über mich

Mensch und Pferdekopf
Ich heiße Christine Dosdall, genannt Tine, geboren 1986 und lebe mit meinen Tieren in Berlin. Wenn ich nicht gerade hinter dicken Büchern verschwunden bin, findet ihr mich im Stall bei meinen Pferden Krümel und Alkmene oder zusammen mit meiner Katze Mucki auf der Couch.

Benutzerbereich



Problem Solving 2021 Banner Advanced Animal Training 2018 Banner Getting Behavior 2018 Banner Animal Emotions 2017 Banner LLA 2014 Badge

(c) 2022 Christine Dosdall