von Tine in Trainingsgedanken am 2. November 2016
Voll mit interessanten Gedanken und Eindrücken, komme ich zurück von der ClickerExpo in Dänemark. Auch wenn es unmöglich ist, über alles zu berichten, was wir in den drei Tagen erlebt, erfühlt, und durchdiskutiert haben, möchte ich ein paar meiner Gedanken zu einem der Kernthemen der Expo mit euch teilen.

Choice.

Für den englischen Begriff Choice gibt es verschiedene Übersetzungen:

  • Entscheidungsfreiheit (freedom of choice)
  • die Wahlmöglichkeit
  • das Angebot


Wer hat die Wahl?

Im Alltag und beim Training mit unseren Tieren gibt es viele Dinge, die entschieden werden. Einen großen Teil unserer gemeinsamen Zeit, sind wir, als Mensch und Trainer, diejenigen, die diese Entscheidungen treffen. Über die Tagesgestaltung, die Ernährung, die Dinge die wir trainieren, die Kriterien, was wir verstärken und was nicht, oder wie wir reagieren, wenn etwas nicht passiert, wie geplant.

Doch wie oft stellen wir dabei wirklich die Bedürfnisse des Tieres in den Vordergrund, oder nehmen uns die Zeit, ihm klare Signale zur Kommunikation beizubringen?

Dazu ein kleines Beispiel, dass so (oder ähnlich) wahrscheinlich jeder von uns kennt. Mucki ist eine Wohnungskatze, die die Möglichkeit hat, einen Teil des Tages auf dem gesicherten Balkon zu verbringen. Da es in unserer Wohnung nicht erlaubt ist, eine Katzenklappe anzubringen, ist sie dabei auf uns Menschen angewiesen. Sie kann also nur auf den Balkon, wenn
  • wir in der Wohnung sind
  • mindestens einer von uns wach ist
  • es keinen konkreten Grund gibt, die Tür geschlossen zu behalten, und
  • wenn wir es überhaupt mitbekommen, dass sie gerne raus möchte.
Da das natürlich gar nicht so einfach ist, wenn wir in der ganzen Wohnung verteilt sind, am PC sitzen, lesen, oder auf irgendeine andere Weise abgelenkt sind, hat sie schnell gelernt, uns ihren Wunsch nach Balkonzeit mit herzhaftem Miauen zu kommunizieren.



Hand hoch, wem kommt das bekannt vor?

Und wer hat sich nicht schon manchmal gewünscht, die Katze könnte ihren Wunsch auf eine weniger "nervige" Art und Weise kommunizieren, und würde auch verstehen, wenn man ihr sagt, "Entschuldigung, aber es passt gerade nicht."?

Bedürfnisse

Die gute Nachricht ist, das muss natürlich nicht so sein. Es ist sehr einfach der Katze ein Verhalten beizubringen, mit dem sie ihren Wunsch nach Balkonzeit kommunizieren kann. Sie kann zum Beispiel lernen, zu einem Menschen zu gehen, ihn mit der Pfote zu berühren, anschließend zur Tür zu laufen, und sich davor zu setzen.

Na, wem kommt das bekannt vor?

Genau, ich bin mir ziemlich sicher, dass die eine oder andere unserer Katzen das bereits herausgefunden hat. Ob es erfolgversprechend ist, oder es doch wieder beim Miauen endet, hängt ganz davon ab, wie zuverlässig wir auf das Signal unserer Katze reagieren. Stehen wir zuverlässig auf und öffnen die Tür, wenn die Katze ruhig davor sitzt? Dann wird das schnell ihr Signal an uns.

Die Erfüllung eines Bedürfnisses ist ein hochwertiger Verstärker, der keinen zusätzlichen weiteren Verstärker benötigt.


Ganz allgemein ist es also wichtig, die Bedürfnisse der mit uns lebenden Tiere zu kennen, und ihnen für jedes einzelne davon so viel Selbstbestimmung zu ermöglichen, wie möglich.

Es genügt also nicht, die Balkontür für eine Minute zu öffnen, während Mucki gerade schläft, und dann zu sagen "Pech, sie hatte ja ihre Chance" - oder die Tür nach wenigen Sekunden wieder zu schließen, wenn sie nicht schnell genug draußen ist.

Neben den körperlichen Bedürfnissen wie Nahrung, Trinken, Schlaf, Bewegung, Spiel und Sozialkontakt, auf die ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen möchte, gibt es noch ein weiteres, überlebenswichtiges, Grundbedürfnis.

Der Ton macht die Musik

Nachtrag vom 3.11.16

An dieser Stelle möchte ich noch darauf hinweisen, dass es natürlich nicht darum geht, nur dann auf das Tier zu hören, wenn es sich bereits benimmt wie das schreiende Kind, das sich auf dem Fußboden im Supermarkt wälzt. Es geht darum ein Gespür dafür zu bekommen, wann das Tier welche Bedürfnisse hat, und diese bereits bei kleinen Anfragen und Anzeichen zu erfüllen. So lernt es, dass es nicht schreien (bellen, miauen, beißen oder kratzen) braucht, da wir ihm zuhören. Viel von dem so genannten Problemverhalten könnte von Anfang an vermieden werden, wenn wir die Körpersprache und die feinen Signale unserer Tiere besser deuten könnten. Reagieren wir nämlich nur, wenn das Verhalten des Tieres nicht mehr sozialkompatibel ist, verstärken wir damit unabsichtlich genau diese Verhaltensweisen.

Entscheidungsfreiheit

Mit dem Bedürfnis nach Autonomie ist das Bedürfnis danach gemeint, mit dem eigenen Verhalten die Umgebung und die Konsequenzen des Verhaltens auf relevante Weise zu beeinflussen. Wird dieses Bedürfnis übergangen, kann es im Extremfall zur erlernten Hilflosigkeit führen.

Damit ist ein Zustand gemeint, in dem nichts was man tut eine beeinflussbare Auswirkung hat. In manchen Trainingsmethoden sieht man das zum Beispiel, wenn ein Tier so lange mit einem angsteinflößenden Reiz konfrontiert wird, dem es nicht entkommen kann, bis es aufgibt sich zu wehren, und es über sich ergehen lässt.

Das Wohl des Tieres kommt an erster Stelle

Im Alltag und im Training gibt es verschiedene Möglichkeiten, ihm Kontrolle über die Situation zu geben, und damit das Bedürfnis nach Entscheidungsfreiheit zu erfüllen. Einige davon habe ich euch bereits schon im Artikel zum Selbstbestimmten Lernen vorgestellt.

  • Das Standardverhalten (Basis/Rückfall-Verhalten)
  • Das Initiatorsignal bzw. Kooperationssignal (*)
  • Das Zustandssignal
  • Das Alternativverhalten

(*)Bina Lunzer

Für mich sind die genannten Punkte mehr als nur Trainingsstrategien, denn ich möchte mit meinen Tieren einen gleichberechtigten Dialog führen.

Dazu gehört für mich, dass das Tier jederzeit darüber Bescheid weiß, was als nächstes passiert. Dazu gehören klare Signale, keine "Überfälle", kein Überreden mit zu hochwertigen Verstärkern. Ich selbst muss mich zuverlässig und voraussehbar verhalten, damit das Tier eine ehrliche Wahl treffen kann, das Verhalten in den gegebenen Umständen zu zeigen, oder nicht zu zeigen.

Ebenfalls gehört für mich dazu, dass das Tier auch weiß, welches die Alternative ist, also dass es eine informierte Entscheidung treffen kann. Wenn es zum Beispiel die Lieblingskekse ausschließlich für das Erfüllen des geforderten Kriteriums gibt, und ich dem Tier nie beibringe, dass es auch Nein sagen darf, und die Lieblingskekse dann für eine andere Übung bekommen kann - dann ist es zwar sehr effektive Verstärkung für das geforderte Verhalten, aber nicht unbedingt eine freie Entscheidung des Tieres.

Wenn der Preis dafür, das Verhalten nicht zu zeigen, zu hoch ist, gehen die Tiere viel zu oft über ihre eigenen Grenzen hinaus. Gerade unsere Pferde sind Meister darin, Schmerzen bis zum letzten Moment zu unterdrücken und zu überspielen.

Fragen stellen statt Befehle geben

Einer der häufigsten Irrtümer ist der Glaube, dass Signale oder Kommandos verursachen, dass das Tier ein bestimmtes Verhalten zeigt. Sie sind immer nur Information darüber, welches Verhalten unter den gegebenen Umständen zielführend oder lohnenswert sein kann. Die Entscheidung darüber, was man mit der Information anstellt, trifft jeder von uns, egal ob Mensch oder Tier, am Ende selbst. Und die Grundlage für die Entscheidung ist die vergangene Erfahrung, also was das letzte Mal (oder die Male davor), im Anschluss an dieses Verhalten passiert ist.



Wir sollten es uns zur Gewohnheit machen, den Tieren Fragen zu stellen, statt Befehle zu geben. Wie das aussehen kann, habe ich im Artikel zum Medical Training beschrieben.

Zusammengefasst

Die folgenden Punkte versuche ich für mich in Zukunft noch konsequenter in meinem eigenen Training und Unterricht umzusetzen:

  • Das Tier kommt an erster Stelle.
  • Bitte das Tier um Erlaubnis.
  • Bringe dem Tier bei, dass Ja, Nein, oder Später verfügbare Optionen sind.
  • Bringe dem Tier bei, dass auch der Mensch auf Vorschläge mit Ja, Nein oder Später antworten kann.
  • Reagiere genauso zuverlässig auf die Signale deines Tieres, wie du es dir von ihm wünschst.
  • Bringe deinem Tier bei, wie es seine Bedürfnisse auf eine angemessene Weise kommunizieren kann.
  • Nimm die Warnzeichen deines Tieres ernst, und ändere die Situation, statt die Warnzeichen (Knurren, Schnappen) wegzutrainieren.
  • Gestalte die Umgebung so, dass du dem Tier das gewünschte Verhalten so einfach wie möglich machst.
  • Hilf deinem Tier, wenn es deine Hilfe braucht!
Ich bin überzeugt davon, wenn wir es zur Gewohnheit machen, unsere Entscheidungen zu hinterfragen und kritisch zu überprüfen, welchen Nutzen unsere Tiere davon haben, können wir langfristig etwas verändern. Ganz egal ob es dabei um den Umgang mit unseren Mitmenschen, unseren Haustieren, den Zootieren oder allen anderen Lebewesen auf diesem Planeten geht.

Zum Weiterlesen

Einige empfehlenswerte Themen, zu denen ihr in verschiedenen Kanälen Informationen findet. Oft sind die Themen als Webinar buchbar, als Aufzeichnung von vergangenen Expos oder anderen Veranstaltungen, oder auch als Online-Artikel. Wenn ihr mehr wissen wollt, könnt ihr mir gerne jederzeit schreiben.

Chirag Patel - Give Training Back to the Animals
www.domesticatedmanners.com

Eva Bertilsson & Emelie Johnson Vegh - Animals in Control
www.carpemomentum.nu

Susan G. Friedman, Ph.D - Effectiveness Is Not Enough
www.behaviorworks.org

Ken Ramirez - Is it Really All or Nothing?
www.clickertraining.com/is-it-really-all-or-nothing

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Über mich

Mensch und Pferdekopf
Ich heiße Christine Dosdall, genannt Tine, geboren 1986 und lebe mit meinen Tieren in Berlin. Wenn ich nicht gerade hinter dicken Büchern verschwunden bin, findet ihr mich im Stall bei meinen Pferden Krümel und Alkmene oder zusammen mit meiner Katze Mucki auf der Couch.

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